Nachehelicher Unterhalt kann trotz Krankheit befristet werden

Das OLG Hamm hat mit Entscheidung vom 11.1.2010 – 4 UF 107/09 über die Befristung von Krankheitsunterhalt
entschieden:

Die Parteien streiten um die Abänderung eines gerichtlichen Vergleichs vom 19.5.1999, in dem der
Kläger sich verpflichtet hatte, an die Beklagte nachehelichen Unterhalt von monatlich 1.000 DM
(= 511,29 €) zu zahlen.

Nach der Geburt des ersten Kindes im Dezember 1989 widmete sich die Kindesmutter nur noch der Versorgung des ehelichen Haushalts und der Betreuung der Kinder. Auch nach Trennung und Scheidung war sie allenfalls geringfügig
erwerbstätig.

Mit der vorliegenden Abänderungsklage möchte der Kläger die stufenweise Herabsetzung des an die Beklagte zu zahlenden nachehelichen Unterhalts ab Januar 2008 und eine Befristung bis zum 31.8.2009 erreichen. Dazu hat er sich auf Veränderungen bezüglich seiner Unterhaltspflichten und des Einkommens berufen. Auch müsse die Beklagte inzwischen für ihren Unterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit selbst sorgen.

Die Beklagte hat sich zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags im Wesentlichen auf krankheitsbedingte
Erwerbsunfähigkeit berufen. Außerdem lägen ehebedingte Nachteile vor, so dass eine Befristung nicht in Betracht komme.

Erstinstanzlich wurde die Klage zurückgewiesen, da die Beklagte in einer Höhe krank sei, die keine Abänderung rechtfertige und stütze sich dabei auf ein arbeits- und sozialmedizinischen Sachverständigengutachten
.

Das hier erkennende Oberlandesgericht ist trotz der gutachterlichen Feststellung der Erwerbsunfähigkeit zum Ergebnis gekommen, dass der Unterhaltsanspruch der Beklagten nunmehr zu befristen ist.

„Infolge der zum 1.1.2008 in Kraft getretenen Gesetzeslage ist nunmehr auch eine Befristung des Krankheitsunterhalts möglich. Da es im vorliegenden Fall aber um die Abänderung einer vor dem 1.1.2008 getroffenen Unterhaltsvereinbarung geht, ist § 36 Nr. 1 EGZPO zu beachten, der einen über das Inkrafttreten des Gesetzes hinausreichenden Vertrauensschutz enthält und eine Abänderung von der Zumutbarkeit abhängig macht.

a) Voraussetzung der Befristung bzw. sonstigen Begrenzung des Unterhalts ist immer, dass der
Unterhaltsberechtigte keine ehebedingten Nachteile erlitten hat. Der Bundesgerichtshof (Urteil vom
26.11.2008, XII ZR 131/07, FamRZ 2009, 406; Urteil vom 27.5.2009, XII ZR 111/08, FamRZ 2009,
1207) hat aber klargestellt, dass allein der Eintritt einer Krankheit während der Ehe als ehebedingter
Nachteil nicht ausreicht
. Das bedeutet, dass auch Ansprüche auf Krankenunterhalt befristet
werden können, da es sich bei Krankheiten grundsätzlich um schicksalhafte Entwicklungen
handelt, für die eine dauerhafte Unterhaltsverantwortung des geschiedenen Ehegatten nicht ohne
weiteres gerechtfertigt werden kann. Allerdings liegt unter Umständen in der ehebedingt schlechteren
Absicherung für einen Krankheitsfall ein Nachteil, der durch den Anspruch auf Krankenunterhalt
gem. § 1572 BGB auszugleichen wäre.
aa) Es ist davon auszugehen, dass die Krankheit der Beklagten nicht ehebedingt ist, sondern
schicksalhaft und auch ohne die Ehe und Kindererziehung eingetreten wäre, selbst wenn man von
einem ersten Auftreten der Krankheit während der Ehe ausgehen würde, was erheblichen Bedenken
unterliegt. Der Vortrag der Beklagten basiert insoweit auf einer einzigen Verdachtsdiagnose
aus dem Jahr 1996. Es sind aber seitens der Beklagten in dieser Zeit keine therapeutischen Maßnahmen
ergriffen worden. Vielmehr hat es im Jahr 1998 eine Mutter-Kind-Kur gegeben, wo eine
ernsthafte psychische Erkrankung der Beklagten hätte auffallen müssen. Dagegen, dass die
Krankheit ohne die Ehe nicht aufgetreten wäre, spricht, dass erst 2003, mehrere Jahre nach der
Ehe und zu einer Zeit, als jedenfalls die juristischen Auseinandersetzungen seit Jahren ihr vorläufiges
Ende gefunden hatten, die Krankheit erstmals genauer diagnostiziert wurde.
bb) Ein ehebedingter Nachteil ergibt sich auch nicht daraus, dass die Beklagte auf Grund der
Rollenverteilung in der Ehe nicht ausreichend für den Fall der krankheitsbedingten Erwerbsminderung
vorgesorgt hat und ihre Erwerbsunfähigkeitsrente in Folge der Ehe und Kindererziehung
geringer ist, als sie ohne die Ehe wäre.
Denn es ist zu berücksichtigen, dass der Ausgleich unterschiedlicher Vorsorgebeiträge vornehmlich
Aufgabe des Versorgungsausgleichs ist, durch den die Interessen des Unterhaltsberechtigten
regelmäßig ausreichend gewahrt werden (BGH, a.a.O., FamRZ 2009, 1207). Es gibt keine
Anhaltspunkte dafür, dass die Absicherung der Beklagten gegen Erwerbsunfähigkeit nach Durchführung
des Versorgungsausgleichs hinter der Versorgung zurücksteht, die sich ergeben hätte,
wenn sie ohne Ehe und Kinderbetreuung in ihrem Beruf durchgehend versicherungspflichtig
beschäftigt geblieben wäre.
Es beruht auch nicht auf der von der Beklagten nach der Ehescheidung übernommenen Betreuung
und Versorgung der gemeinsamen Kinder, dass sie keinen Anspruch gegen den Rentenversicherungsträger
auf Zahlung einer Erwerbsunfähigkeitsrente hat. Denn es ist nicht erkennbar, dass
sie dadurch daran gehindert war, vom 1.9.2003 bis zum 12.1.2009 über 36 Monate versicherungspflichtig
zu arbeiten. In diesem Zeitraum war sie nicht verheiratet und die Kinder auch nach dem
früheren Altersphasenmodell alt genug, dass sie jedenfalls eine versicherungspflichtige Halbtagsstelle
hätte annehmen können. In der Zeit von 2004 bis 2007 lebte nur noch das jüngere Kind N in
ihrem Haushalt; der ältere Sohn T wurde im Zuge seiner Rückkehr in den mütterlichen Haushalt
Ende 2007 bereits volljährig. Eine von dem Kläger im Jahr 2004 auf die Verletzung der
Erwerbsobliegenheit der Beklagten gestützte Abänderungsklage (15 F 349/04 AG Siegen) ist zwar
im Ergebnis erfolglos geblieben. Das Amtsgericht hat der Beklagten aber bereits in dem Urteil vom
2.9.2004 ein fiktives Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung von monatlich rund 115 € zugerechnet
und darauf hingewiesen, dass sie nach dem Wechsel des Kindes N in die weiterführende
Schule im Sommer 2004 unterhaltsrechtlich verpflichtet sei, ihre Erwerbstätigkeit sukzessive auszuweiten.

b) Das Fehlen ehebedingter Nachteile führt aber nicht ohne weiteres dazu, dass der Krankheitsunterhalt
zu befristen wäre. Denn der Gesetzgeber hat mit der Schaffung des nachehelichen Unterhaltsanspruchs
wegen Krankheit oder Gebrechen in § 1572 BGB ein besonderes Maß an nachehelicher
Solidarität festgeschrieben, das auch im Rahmen der Begrenzung oder Befristung des
nachehelichen Unterhalts nicht unberücksichtigt bleiben kann. Unter Geltung des neuen Unterhaltsrechts
mit der klaren Betonung der Eigenverantwortlichkeit geschiedener Ehegatten, hält
der Senat aber trotz der Krankheit und dem – derzeit – damit einhergehenden Unvermögen der Beklagten,
für ihren eigenen Unterhalt zu sorgen, eine zeitlich unbegrenzte Unterhaltspflicht aufgrund
nachehelicher Solidarität für unbillig.
Die Krankheit der Beklagten beeinflusst im Zusammenhang mit der Dauer der Ehe das Maß der
fortwirkenden nachehelichen Solidarität. Die Ehe der Parteien hat nur knapp zehn Jahre gedauert.
Weitere zehn Jahre sind mittlerweile seit Rechtskraft der Scheidung vergangen, in denen durchgehend
der im Mai 1999 vereinbarte Unterhalt gezahlt bzw. hinterlegt worden ist. Wenn man weiterhin
bedenkt, dass die Beklagte zwar an einer ernsthaften, so aber doch nicht unheilbaren Krankheit
leidet, ist ihr die Befristung nach einer angemessenen Übergangsfrist auch zumutbar i.S. von
§ 36 Nr.1 EGZPO.
c) Der Senat hält eine Frist bis zum 30.6.2011, innerhalb derer der in dem Vergleich vom
19.5.1999 titulierte Unterhalt fortgezahlt werden soll, für angemessen.
Hätte die Erkrankung der Beklagten nicht zur Erwerbsunfähigkeit geführt, hätte sie sich spätestens
mit Inkrafttreten des neuen Unterhaltsrechts Anfang 2008 auf den Wegfall des Anspruchs auf Betreuungsunterhalt
einstellen müssen. Angesichts des Umstandes, dass N zu dieser Zeit bereits
14 Jahre alt war, lagen die Voraussetzungen eines Anspruchs gem. § 1570 BGB n.F. ersichtlich
nicht mehr vor. Ein dann eventuell für eine Übergangszeit noch gegebener Anspruch auf Aufstockungsunterhalt
gem. § 1573 BGB hätte mit großer Wahrscheinlichkeit die Höhe des 1999 titulierten
Unterhalts von rund 511 € nicht mehr erreicht und wäre außerdem gem. § 1578 b Abs.2 S.1
BGB zu befristen gewesen. Denn aus der Dauer der Pflege oder Erziehung der gemeinschaftlichen
Kinder sowie aus der Gestaltung von Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit während der
Ehe lassen sich keine ehebedingten Nachteile der Beklagten herleiten. Sie hat vor der Ehe bereits
16 Jahre als ungelernte Bürokraft gearbeitet. Es ist nicht anzunehmen, dass sie ohne die Eheschließung
zu einem späteren Zeitpunkt noch eine Berufsausbildung erfolgreich absolviert hätte.
Die Ehe und Kindererziehung haben allenfalls dazu geführt, dass sie in gewisser Weise den Anschluss
an die modernen Büro-Techniken verloren hat. Das hätte aber ohne weiteres durch entsprechende
Schulungen und Kurse nach der Scheidung ausgeglichen werden können. Wäre die
Beklagte nicht erkrankt, hätte ihrer Rückkehr in den bereits vor der Ehe ausgeübten Beruf nach
Ende der Kinderbetreuung nichts entgegengestanden. Dabei wäre die Übergangsfrist, innerhalb
derer sie sich von dem Unterhaltsbedarf nach den (wandelbaren) ehelichen Lebensverhältnissen
auf den niedrigeren Lebensstandard, der ihren eigenen beruflichen Möglichkeiten entspricht, hätte
einstellen können (vgl. BGH, Urteil vom 12.4.2006, XII ZR 240/03, FamRZ 2006, 1006), mit einem
Zeitraum von einem Jahr bis höchstens zwei Jahren, also längstens bis Dezember 2009, zu bemessen
gewesen.
Der Kläger erfüllt nach Auffassung des Senats das ihm obliegende Maß an nachehelicher Solidarität,
wenn er infolge der Erkrankung zum einen über den 1.1.2008 hinaus den vollen Unterhalt in
Höhe von monatlich rund 511 € weiterzahlt und dies rund 1 1/2 Jahre länger als er ohne die Erkrankung
der Beklagten zu zahlen verpflichtet gewesen wäre. Es ist nach dem Gutachten des
Sachverständigen Dr. E nicht ausgeschlossen, dass bis dahin die Erwerbsfähigkeit der Beklagten
wiederhergestellt ist und die Suche nach einer geeigneten Vollzeitstelle Erfolg haben könnte. Auch
die Beklagte ist dem Kläger gegenüber zur nachehelichen Solidarität verpflichtet, die es ihr abverlangt,
sich intensiv und nachhaltig um die geeignete Behandlung ihrer Krankheit zu bemühen und
das Ziel, ihre Erwerbsfähigkeit wieder herzustellen, nicht aufzugeben.“