Kindesunterhalt: Jugendamt haftet auf Schadensersatz bei Pflichtverletzung

Der BGH entschied über einen Schadensersatz wegen einer Pflichtverletzung des Jugendamtes. Das Jungendamt hatte versäumt darauf hinzuwirken, dass für das mit Vollendung ihres sechsten Lebensjahres im April 2005 Unterhalt gemäß der zweiten Altersstufe der Düsseldorfer Tabelle erhält und dass beide Klägerinnen ab Juli 2005 mit der Geltung der Düsseldorfer Tabelle 2005 einen höheren Unterhalt verlangen konnten.

Da dem Jugendamt gemäß § 1712 Abs. 1 Nr. 2 BGB vorliegend die Aufgabe zugewiesen ist, im Rahmen der Beistandschaft Unterhaltsansprüche für minderjährige Kinder geltend zu machen, können diese darauf vertrauen, dass das Jugendamt diese Aufgabe fachkundig erledigt. Grundsätzlich obliegt es der Behörde, durch geeignete organisatorische Maßnahmen
sicherzustellen, dass ihre mit der Sachbearbeitung betrauten Mitarbeiter die für die Erfüllung ihrer täglichen Aufgaben benötigten Rechtskenntnisse erwerben oder die Vorgänge in Zweifelsfällen einem Beschäftigten vorgelegt werden, der über die erforderlichen Rechtskenntnisse verfügt.

Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Klägerinnen begehren von dem beklagten Land Schadensersatz wegen einer Pflichtverletzung im Zusammenhang mit der Geltendmachung von Kindesunterhalt durch das Jugendamt. Im September 2004 übernahm das Jugendamt auf Antrag der Mutter der beiden minderjährigen Klägerinnen für diese die Beistandschaft, um Unterhaltsansprüche gegen deren Vater geltend zu machen. Erstmalig forderte das Amt den Kindsvater im September 2004 zur Auskunft und vorläufigen Unterhaltszahlung auf. Der Kindsvater, der sich im Jahr 2003 mit einem Heizungs- und Sanitärbetrieb selbständig gemacht hatte, erteilte dem Amt im Oktober 2004 Auskunft. Dieses ermittelte ein monatliches Einkommen des Streithelfers von rund 3.165 € und forderte ihn im Dezember 2004 auf, den Klägerinnen ab Oktober 2004 170 % des jeweiligen Regelbetrags zu zahlen; dies entsprach einem Tabellenbetrag von jeweils 339 €, abzüglich eines Kindergeldanteils von 77 € mithin 262 €. Im Februar 2005 erkannte der Streithelfer mit notariellen Urkunden die Verpflichtung zur Zahlung eines statischen Unterhaltsbetrags für die Klägerinnen in Höhe von jeweils 262 € bis April 2006 an und unterwarf sich der sofortigen Zwangsvollstreckung.

Mit Ablauf dieses Zeitraums übersandte der Streithelfer weitere notarielle Urkunden, mit denen er sich für die sich hieran anschließende Zeit zur Zahlung von Kindesunterhalt verpflichtete. Im Oktober 2008 wurde die Beistandschaft des Jugendamts aufgehoben.

Auf die Klage, die die Klägerinnen im Wesentlichen damit begründet haben, sie hätten während der Beistandschaft keinen den Lebens- und Einkommensverhältnissen des Streithelfers entsprechenden Unterhalt erhalten, hat das Landgericht das beklagte Land zur Zahlung von 5.130 € an die Klägerin zu 1 und 4.086 € an die Klägerin zu 2 jeweils nebst Zinsen verurteilt. Auf die Berufung des Beklagten hat das Kammergericht die Zahlungsverpflichtung hinsichtlich der Klägerin zu 1 auf 1.168 € und hinsichtlich der Klägerin zu 2 auf 1.078 € nebst Zinsen reduziert. Hiergegen wenden sich die Klägerinnen mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, soweit zu ihrem Nachteil kein zusätzlicher Unterhalt für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 30. April 2006 berücksichtigt worden ist.

Die Klageforderung die ist teilweise begründet, urteilte der BGH und begründet dies wie folgt:

Das Jugendamt sei als Beistand der Klägerinnen mit dem Aufgabenkreis tätig geworden, Unterhaltsansprüche
gegen den Streithelfer geltend zu machen. Zur Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs gehörten sämtliche Phasen der Durchsetzung von vorbereitenden Auskunftsbegehren gemäß § 1605 BGB bis zu Vollstreckungsmaßnahmen. Die Mitarbeiter des Jugendamts hätten die Pflicht gehabt, den Unterhaltsanspruch der Klägerin zutreffend zu ermitteln, titulieren zu lassen
und durchzusetzen. Zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Streithelfers sei dieser auch zur Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse anzuhalten gewesen. Da Unterhalt für die Vergangenheit grundsätzlich nicht verlangt werden könne, seien die Mitarbeiter des Beklagten verpflichtet gewesen, den Streithelfer sobald als möglich zur Zahlung eines höheren Unterhalts oder (qualifiziert) i.S.v. § 1613 Abs. 1 BGB zur Auskunft aufzufordern.

Die Mitarbeiter des Beklagten hätten für die Klägerin nicht glaubhaft machen können, dass der Streithelfer inzwischen wesentlich höhere Einkünfte erzielt habe. Etwas anderes lasse sich auch im Falle einer vorauszusehenden atypischen Einkommensentwicklung bei Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts Karlsruhe (OLGR 2000, 284) mit dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzestextes nicht in Einklang bringen. Da es sich um eine Ausnahmevorschrift handele, komme auch eine analoge Anwendung nicht ohne weiteres in Betracht. Es reiche danach gerade nicht aus, dass eine „atypische Einkommensentwicklung zu einer Überwindung der Wesentlichkeitsschranke des § 323 ZPO führen kann“. Vielmehr müsse glaubhaft gemacht werden, dass der Unterhaltsschuldner später wesentlich höhere Einkünfte erworben habe. Schließlich gebe es auch keine allgemeine Lebenserfahrung, wonach bei einer Unternehmensgründung stets oder auch nur regelmäßig mit einer positiven Einkommensentwicklung gerechnet werden könne. Schwierigkeiten bei der Prognose der Leistungsfähigkeit des selbständigen Unterhaltsschuldners dürften auf diese Weise nicht ausgeglichen werden. Unterstrichen werde dieses Ergebnis, wenn man andere Entscheidungen der Rechtsprechung vergleichend heranziehe, in denen Ausnahmen vom Eingreifen der Sperrfrist gemäß § 1605 Abs. 2 BGB anerkannt worden seien.

Die Vorinstanz war zutreffend davon ausgegangen, dass als Anspruchsgrundlagen für den geltend gemachten Schadensersatzanspruch zum einen § 839 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 Satz 1 GG und zum anderen § 1716 Satz 2 BGB i.V.m. §§ 1833 Abs. 1 Satz 1, 1915 Abs. 1 Satz 1 BGB in Betracht kommen (vgl. BGH Urteil vom 17. Juni 1999 – III ZR 248/98 – FamRZ 1999, 1342, 1344; OLG Saarbrücken FamRZ 2012, 801; MünchKommBGB/Wagenitz 6. Aufl. § 1833 BGB Rn. 2).

Eine Pflichtverletzung liegt danach in jedem Verstoß gegen das Gebot treuer und gewissenhafter Amtsführung (MünchKommBGB/Wagenitz 6. Aufl. § 1833 BGB Rn. 3). Die Frage, ob der mit der Ausübung der Aufgaben der Beistandschaft betraute Amtsträger seine dem Kind gegenüber bestehenden Pflichten verletzt hat, ist maßgeblich danach zu beantworten, wie der Wirkungskreis der Beistandschaft beschaffen ist (vgl. BGH Urteil vom 17. Juni 1999 – III ZR 248/98 – FamRZ 1999, 1342, 1344).

Da dem Jugendamt gemäß § 1712 Abs. 1 Nr. 2 BGB vorliegend die Aufgabe zugewiesen ist, im Rahmen der Beistandschaft Unterhaltsansprüche für minderjährige Kinder geltend zu machen, können diese darauf vertrauen, dass das Jugendamt diese Aufgabe fachkundig erledigt. Grundsätzlich obliegt es der Behörde, durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass ihre mit der Sachbearbeitung betrauten Mitarbeiter die für die Erfüllung ihrer täglichen Aufgaben
benötigten Rechtskenntnisse erwerben oder die Vorgänge in Zweifelsfällen einem Beschäftigten vorgelegt werden, der über die erforderlichen Rechtskenntnisse verfügt (vgl. Senatsbeschluss vom 27. Februar 2013 – XII ZB 6/13 – FamRZ 2013, 779 Rn. 8).

Erfolg hat die Revision mit ihrer in der mündlichen Verhandlung erhobenen Rüge, wonach das Jugendamt nicht darauf hingewirkt hat, dass die Klägerin zu 1 mit Vollendung ihres sechsten Lebensjahres im April 2005 Unterhalt gemäß der zweiten Altersstufe der Düsseldorfer Tabelle erhält und dass beide Klägerinnen ab Juli 2005 mit der Geltung der Düsseldorfer Tabelle 2005 einen höheren Unterhalt verlangen konnten.

Dabei kann dahin stehen, ob die Pflichtverletzung schon darin zu sehen ist, dass sich das Jugendamt mit den vom Kindsvater erstellten, statischen Urkunden begnügt hat, statt auf dynamische Titel zu bestehen. Jedenfalls hätte es rechtzeitig darauf hinwirken müssen, dass der Streithelfer den mit Vollendung des sechsten Lebensjahres der Klägerin zu 1 zustehenden erhöhten Unterhalt zahlt.

BGH Urteil v. 4.12.2013 – XII ZR 157/12